Frei_Fläche Hamburg
Wie Kreative die Zukunft der Stadt gestalten
Rolltreppen, die früher Shopping-Gäste durch die verschiedenen Modeabteilungen gelenkt haben, verbinden nun Kunstausstellungen und Pop-Up-Stores. Umkleidekabinen werden nicht mehr zur Anprobe benutzt, sondern zeigen Graffiti-Art. Wenige Meter vom Hamburger Hauptbahnhof hat sich das alte Karstadt-Sport-Gebäude vor zwei Jahren vom Shopping-Center in den Kreativplaneten JUPITER verwandelt. Es ist nur einer von über 100 Räumen in Hamburg, die durch das Projekt Frei_Fläche einen vorübergehenden neuen Nutzen bekommen hat. Das Projekt zeigt, wie kreative Konzepte die Stadt auch in Zukunft prägen können.
Der JUPITER liegt nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt in der Mönckebergstraße. Es ist die größte kreative Zwischennutzung von Frei_Fläche.
So funktioniert das Projekt Frei_Fläche
Seit dem ersten Juli 2021 können Hamburgs Kreative durch das Programm Frei_Fläche zentrale Geschäftsflächen, die sonst leer stehen würden, kostengünstig nutzen. Betriebs- und Nebenkosten werden dabei von der Hamburger Kreativgesellschaft übernommen. Die Kreativen zahlen lediglich einen Eigenanteil von 1,50 Euro pro Quadratmeter. Wie lange sie die Flächen nutzen können, ist abhängig vom jeweiligen Vermieter und den Fördermitteln der Stadt. Für 2024 hat die Bürgerschaft die Verlängerung des Projektes erneut bewilligt. Hamburgs Kreative können bis Ende des Jahres und den verbleibenden Mitteln in Höhe von 1,6 Millionen Euro weiter gefördert werden.
Über hundert kreative Flächen sind in Hamburg durch Frei_Fläche entstanden, in den Bereichen Kunst, Design, Musik oder Performance. Kreativschaffende bieten in ihren Räumen neben Ausstellungen auch Workshops und Veranstaltungen an. Es gibt viel zu entdecken. Für alle aktuellen Projekte hat die Kreativgesellschaft eine Übersicht.
Design, Tanz, Café und Graffiti-Kunst auf sechs Etagen
Das wohl bekannteste und größte Projekt der Freiflächennutzung ist das alte Karstadt-Sport-Gebäude. Als kreativer Kosmos inmitten der Hamburger Innenstadt trägt es den Namen JUPITER. Auf sechs Etagen und einer Fläche, die größer ist als ein Fußballfeld, gibt es ein vielfältiges und wechselndes Kreativ-Angebot. Im obersten Stockwerk lädt die Hamburger Materialverwaltung in ihr „Paralleluniversum" ein: Eine Bar mit Dachterrasse und Blick über Hamburg, dazu Musik- und Tanz zu Indie über Disco-House bis Hip-Hop. Ganz unten genießen Besucher*innen in einem Café Heißgetränke und durchstöbern die Kollektionen von La Tribune, eine 2021 gegründete Kreativhandelsplattform, die sich auf Produkte von BIPOC (Black Indigenous People of Colour) spezialisiert hat.
JUPITER – Innenstadt
Öffnungszeiten: Sonntag bis Mittwoch zwischen 10 und 21 Uhr / Donnerstag bis Samstag zwischen 10 Uhr und 0 Uhr
Eintritt: kostenlos
Adresse: Mönckebergstraße 2-4, 20095 Hamburg
Female Frames: Frauen in der Graffiti-Szene
Die Ausstellung „Female Frames“ auf einer der mittleren Etagen rückt den weiblichen Blick auf Graffiti in den Mittelpunkt. Das Ziel: Sprayerinnen mehr Sichtbarkeit verleihen. Obwohl Graffiti in den letzten Jahrzehnten als Kunstform viel Anerkennung gewonnen hat, bleibt die Arbeit von Frauen oft im Schatten. Die Ausstellung der OZM Gallery wirft Fragen nach den repräsentierten Identitäten und den ausgeschlossenen Identitäten auf. Die Werke von etablierten Künstlerinnen sowie von jungen Talenten stehen allesamt für eine Emanzipation in der Geschichte des Graffiti. Manche Kunstwerke wurden direkt vor Ort erstellt. Sie beziehen sich also direkt auf die Umgebung und verleihen der Ausstellung Lebendigkeit.
Eine Modedesignerin erfindet das Hanseviertel neu
„Für mich war es schon immer ein Traum, mit meinem Konzept einen Platz in der Innenstadt zu bekommen“, erzählt Alina Klemm, Modedesignerin und eine der ersten Nutzer*innen des Projekts Frei_Fläche in Hamburg. Obwohl sich der Traum von Alina inmitten der für den Einzelhandel herausfordernden Pandemie-Zeit erfüllte, ist ihr Geschäft durch die Zwischennutzung herangewachsen.
Alina Klemm – Store im Hanseviertel
Öffnungszeiten: Montag bis Samstag zwischen 10 und 19 Uhr
Adresse: Große Bleichen 30-36, 20354 Hamburg
Ihr kreatives Konzept steht für fair und in Norddeutschland produzierte Mode von und für selbstbewusste Frauen. Die Designs ihrer Kleidungsstücke sind darauf ausgelegt, Verschleiß zu minimieren und lang zu leben. Alina verwendet hauptsächlich Deadstock, also hochwertige Designer-Stoffe, die von vorherigen Produktionen übrig geblieben sind. Der jungen Designerin ist es wichtig, ihre Kund*innen für moderne, innovative Konzepte zu begeistern, um sie weg vom digitalen Anbieter hin zu lokalen Geschäften zu führen. Ihre Ladenfläche nutzt sie deshalb nicht nur zum Verkauf, sondern bietet dort auch Workshops zum Beispiel im Bereich Töpfern an. „Für mich bedeutet Kreativität, innovativ zu sein”, sagt Alina.
Neben Kleidung bietet Alina Klemm auch Schmuck auf ihrer Ladenfläche an. Alle Produkte sind lokal produziert und selbst designed.
Schon vor der Pandemie änderte sich das Einkaufsverhalten vieler Menschen und immer weniger Kund*innen besuchten das Hanseviertel zwischen Poststraße, Große Bleichen und Hohe Bleichen. Die Corona-Pandemie verhärtete dieses Problem. Gleichzeitig ist Regionalität beim Einkauf wieder in den Fokus vieler Konsument*innen gerückt. Alina hatte den Eindruck, dass mehr Menschen interessiert waren, neue lokale Marken kennenzulernen.
„Die Menschen sind gelangweilt, wenn sie in die Innenstadt kommen und nur traditionelle Einzelhandelsgeschäfte finden”, so Alina. Die Stadt müsse einen stärkeren Fokus auf kleine, innovative Konzepte setzen und diese fördern, um die Innenstadt wieder attraktiv zu machen. Vor allem mit Blick auf die Eröffnung des neuen, konkurrierenden Westfield Shopping-Centers in der Hafencity. Alina glaubt, dass ein kreativer Einzelhandelsmix die Innenstadt wieder attraktiv machen kann.
Immobilienwirtschaft und Kreative langfristig verbinden
Die junge Modedesignerin hofft, dass ihr Konzept nicht nur innerhalb des aktuellen Projekts, sondern auch darüber hinaus in der Immobilienwirtschaft Anerkennung findet. Durch die Zwischennutzung konnte sie wertvolle Kontakte knüpfen, was ihr für die Zukunft hilft. Damit das auch anderen Kreativen gelingt, müssen sie ihre Konzepte verständlicher kommunizieren, damit die Immobilienwirtschaft den Wert der Zusammenarbeit erkennen kann, so Alina.
„Es ist wichtig, dass die Immobilienwirtschaft die Vorteile der kreativen Zwischennutzung erkennt und sich auch langfristig entsprechende Modelle entwickeln”, sagt auch Celina Behn von der Kreativ Gesellschaft. Schließlich liege auch das Interesse der Eigentümer darin, die Attraktivität der Innenstadt weiter zu fördern. Ein Beispiel dafür, wie das Konzept langfristig funktionieren kann, gibt es auf der anderen Seite der Alster: in Winterhude.
Atelier 21 hat sich in Winterhude fest etabliert
Denn auch das Atelier 21 ist durch das Projekt Frei_Fläche entstanden. Der konzeptionelle Abstraktmaler Pippo Kudi hat am Poelchaukamp die leerstehende Fläche eines früheren Blumenladens bezogen. Inmitten eines beliebten von Gastronomiebetrieben dominierten Viertel hat sich sein Ladenkonzept, bestehend aus Kunst und Design etabliert. Die Veranstaltungen des Ateliers, bei denen unter anderem auch ein Energieschutzbunker im Hinterhof des Gebäudes zur Ausstellungsfläche wird, laden Besucher*innen dazu ein, das Viertel in Winterhude auf ganz neue Art zu erleben.
Pippos Events bringen Nachbarschaft und Künstler-Szene zusammen
Pippo Kudi plant unter anderem Kreativworkshops und Künstler-Dinner in seinen Räumen, um die Kreativen der Stadt zu vernetzen. „Neben Haarstudios, Nagelstudios und Gatsro-Betrieben schafft das Atelier 21 ein ganz neues Angebot und ermöglicht Zusammenkünfte", so Pippo Kudi. Diesen Mehrwert für das Viertel habe auch die Vermieterin erkannt, sodass das Atelier auch unabhängig von der Förderung der Kreativgesellschaft weiter bestehen kann.
Atelier 21 – Winterhude
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag zwischen 15 und 19 Uhr
Adresse: Poelchaukamp 21, 22301 Hamburg
Abstraktmaler Pippo Kudi begeistert mit seinem Atelier-Konzept in Winterhude die Nachbarschaft und lässt sie ihr Viertel durch seine Kunst auf neue Art erleben. Foto: Lucas Pretzel